30/05/2024 • 5 min gelesen

Vertrautheit: Arbeitsplätze, die den Bedürfnissen von neurodiversen Menschen gerecht werden

Ein Interview mit Victor Bourdariat

von Alex Przybyla

Schaffung von Arbeitsplätzen, an denen sich jeder zugehörig fühlt

Für neurodivergente Menschen ist der Arbeitsplatz oft mit Herausforderungen verbunden. „Die Arbeit … steht im Mittelpunkt so vieler Herausforderungen für neurodivergente Menschen“, schreibt Jenara Nerenberg in Divergent Mind: Thriving in a World That Wasn’t Designed for You.

Das Ziel von Haworth ist einfach: Wir wollen Räume schaffen, in denen sich jeder wohlfühlt und gut arbeiten kann. Wie sieht das für neurodivergente Menschen aus?

Victor Bourdariat, Chefdesigner des Produktentwicklungsteams von Haworth Europa, ist der Ansicht, dass integrative Räume für neurodivergente Menschen zunächst ein Gefühl der Vertrautheit und Zugehörigkeit vermitteln sollten. „Jeder hat seinen Platz am Arbeitsplatz“, sagte Victor. „Jeder sollte das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Organisation erleben können.“

Um den Zusammenhang zwischen Neurodiversität und Zugehörigkeit am Arbeitsplatz zu untersuchen, arbeiteten Victor und Haworth UK mit dem Chelsea College of Arts (UAL) im Rahmen eines Kurses im Frühjahrssemester 2024 zusammen – Höhepunkt der Zusammenarbeit war die Veranstaltung Breaking Barriers während der Clerkenwell Design Week (CDW).

 

Eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Chelsea College of Arts

Eine talentierte Gruppe von dreizehn Studierenden des zweiten Studienjahres des Studiengangs BA (Hons) Product and Furniture Design beschäftigte sich mit Neurodiversitätsthemen wie Akustik, Raumaufteilung und Biophilie in Bezug auf den Arbeitsplatz. Auf der Grundlage britischer Branchenstandards, Victors praktischer Erfahrung und der eigenen umfangreichen Forschungsarbeit entwarf jeder Studierende ein Produkt, das die Arbeitsbedingungen für neurodivergente Menschen verbessern könnte.

Aus den eingereichten Projekten wählte Victor vier Finalisten aus, die die Gelegenheit erhielten, ihre Konzepte im Rahmen der Veranstaltung „Breaking Barriers: Championing Neurodiversity in Office Design“ zu präsentieren, mit der Haworth London die CDW 2024 einläutete. Die vier Projekte – darunter der letztendliche Gewinner des Haworth Design Awards – werden im Folgenden vorgestellt. 

Wie stellen sich Designstudierende von heute integrative Arbeitsplätze für neurodivergente Menschen vor?

Vertrautheit aus vier verschiedenen Blickwinkeln

Die vier Projekte, die bei Breaking Barriers ausgestellt wurden, waren zwar recht unterschiedlich, darunter ein Raumteiler, ein Pflanzgefäß für den Tisch, gepolsterte Gewichtskissen und ein skulpturaler Gegenstand für den Gesprächseinstieg, dennoch Victor erkannte ein gemeinsames zentrales Konzept.

„Als ich die vier zusammen sah, wurde mir klar, dass sie über die gleiche Sache sprachen, nur auf eine andere Art und Weise“, sagte Victor. „Tatsächlich ging es bei allen vier Projekten um Vertrautheit.“

„Vertrautheit ist der erste Weg, zu einem Gefühl der Zugehörigkeit“, sagte Victor. „Wenn Ihr Produkt oder Ihr Raum von den Mitarbeitern als vertraut wahrgenommen wird, fühlen Sie sich sicher, wohl und integriert – weil Sie sich wiedererkennen. Sie projizieren sich in das, was Sie umgibt – und das ist meiner Meinung nach eine ziemlich gute Definition von Zugehörigkeit, bei der Sie sich in den Raum und auf das Produkt projizieren können.“

 

Zenimals von Marie-Charlotte Roy

Zenimals sind gepolsterte Gewichtskissen, die mit Reis gefüllt sind. Ähnlich wie Gewichtsdecken, die zu Hause verwendet werden, können Gewichtskissen zum Abbau von Ängsten eingesetzt werden. Die Zenimals sind kompakt und können während des Arbeitstages von einem Ort zum anderen mitgenommen werden.

Beim Design für neurodivergente Menschen ist es wichtig, eine Vielzahl von Farben und Texturen zu verwenden. Manche Menschen reagieren sehr empfindlich auf Farbe und Textur, während andere stärkere Reize für eine durchschnittliche Reaktion benötigen.

Die Zenimals gibt es in einer Vielzahl von Farben und Mustern – von hell und energiegeladen bis hin zu beruhigend und dezent. Es gibt sie auch in verschiedenen Texturen, sodass Sie zwischen glattem Samt oder Polyester, leichter Wolle oder grobem Bouclé wählen können.

Terra Scape von Isabel Ogunjuyigbe

Victor beschrieb Terra Scape als ein „Pflanzgefäß, das mehr ist als ein Pflanzgefäß“. Terra Scape macht Natur greifbar – und Natur vermittelt ein Gefühl von Wohlbefinden und Vertrautheit. Die regelmäßige Pflege von Pflanzen ist eine entspannende Abwechslung zum Arbeitsalltag. 

„Bei einem Spaziergang durch den Wald hat man dieses Gefühl der Ruhe und des Wohlbefindens, weil es ein natürlicher Ort ist“, so Victor. „Sie fragen sich nicht nach der Logik. Um einen herum sind nur Bäume … Das ist einfach so.“

Terra Scape ist in verschiedenen Ausführungen erhältlich, sodass Sie zwischen Farben mit hoher oder niedriger Stimulation wählen können.  

Conversation Enabler von Alicia Hackett

Für neurodivergente Menschen kann es eine besondere Herausforderung sein, ein Gespräch zu beginnen. (Dies gilt auch für Personen, die das Gefühl haben, die im Büro vorherrschende Sprache nicht gut genug zu sprechen.)

Victor beschrieb den Conversation Enabler als eine skulpturale „offene Bibliothek“. Neurodivergente Menschen sind „genauso sozial wie alle anderen auch“, sagt Victor. Mithilfe des Gegenstands sollen die Hürden ausgeräumt werden, die sonst die Kontaktaufnahme erschweren.

Der Conversation Enabler motiviert Menschen dazu, Gegenstände mit ins Büro zu nehmen, die ihnen persönlich wichtig sind und die als Anlass für ein Gespräch dienen können. Diese Lieblingsgegenstände könnten eine Welpenfigur (bei einem Hundeliebhaber), ein neuer Tee, eine Actionfigur aus dem Lieblingsanime oder sogar eine Pflanze sein, die (hoffentlich!) mit ein wenig gemeinsamer Pflege wachsen wird.

Diese vertrauten Gegenstände dienen dazu, schneller ins Gespräch zu kommen. Mit der Zeit werden diese Momente der Begegnung allmählich ein Gemeinschaftsgefühl am Arbeitsplatz schaffen – sowohl für neurodivergente als auch für neurotypische Mitarbeitende. „Wenn wir von inklusivem Design und Inklusion sprechen, dann muss das für alle gelten“, sagte Victor. 

Water Lilies von Punpun Phophientong

Water Lilies ist ein Raumteiler, der auf der Grundlage umfangreicher Recherchen über beruhigende Muster, Materialien und Farben entstanden ist. Der Raumteiler verleiht den Räumen eine natürliche Ruhe – und dämpft störende hochfrequente Geräusche. 

Um Räume für alle angenehmer zu machen, ist die Akustik ein wichtiges Element. Laut Leesman empfinden die meisten Menschen den Lärmpegel in ihren Büros als unbefriedigend. Und Jenara Nerenberg weist in Divergent Mind darauf hin, dass „das Thema Geräuschpegel bei ihren Recherchen immer wieder auftauchte“. „Neurodivergente Menschen sind stärker von Lärm betroffen als neurotypische Menschen“, schreibt sie. „Die Rolle, die das Hören spielt, wenn es darum geht, die Welt zu erfahren, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.“  

Der ausgestellte Raumteiler Water Lilies wurde aus akustischem BuzziFelt von BuzziSpace hergestellt. BuzziFelt besteht zu 100 % aus recycelten Plastikflaschen und absorbiert als Raumteiler „hochfrequente Geräusche“ wie „Gespräche, Tippgeräusche oder Klingeltöne“. Water Lilies erfüllt somit eine doppelte Funktion – er sorgt für eine ausgewogene Akustik im gesamten Büro und bietet gleichzeitig eine beruhigende optische Privatsphäre.  

„Water Lilies vermittelt ein Gefühl von Natur“, sagte Victor. Das Muster wirkt „vertraut“, obwohl der visuelle Bezug zur Natur subtil und unaufdringlich ist. Durch die Subtilität wird eine ruhige und beruhigende Atmosphäre an der Grenze zwischen den Räumen geschaffen. Die Sanftheit des Konzepts erlaubt es den Menschen, ihre eigenen Interpretationen zu entwickeln.  

Aus den vier Finalisten wählte Victor Water Lilies als Gewinner des Haworth Design Awards aus.

Was steht als Nächstes an?

„Haworth beschäftigt sich immer intensiver mit dem Thema Neurodiversität“, sagte Victor. In einer „unendlichen Vielfalt von Gehirnen“ gibt es kein Richtig oder Falsch … Was für den einen sinnvoll ist, kann für den anderen sinnlos sein. Wir müssen also eine große Vielfalt an Lösungen anbieten, da es unendlich viele Möglichkeiten der Neurodivergenz gibt.“

„Die einzige Möglichkeit, auf all das zu reagieren, besteht darin, für Vielfalt zu sorgen“, sagte Victor.

Auf die Frage, was die Zukunft bringen wird, antwortet Victor: „Ich möchte weiterhin mit der Designhochschule zusammenarbeiten, das ist sicher … Dort gibt es eine Menge Kreativität. Wir haben die Erfahrung und das Wissen, um diese zukünftigen Designer zu betreuen und ihnen Feedback aus der Praxis zu geben.“

Unsere Zukunft ist neurodivers. Breaking Barriers hat sich zum Ziel gesetzt, die Zukunft des integrativen Designs aufzuzeigen. Angesichts der Qualität der studentischen Projekte sieht die Zukunft in der Tat sehr vielversprechend aus.

Das Chelsea College of Arts teilt Victors Meinung. „Diese Zusammenarbeit mit Haworth ist für unsere Studierenden sehr wertvoll, da sie eine Plattform erhalten, um ihre Forschung zu vertiefen und auf reale Situationen zu reagieren“, sagte Fabiane Lee-Perrella, Leiterin des zweiten Studienjahres und Senior Lecturer, BA Product & Furniture Design. „Sie passt perfekt zum Ethos unseres BA-Studiengangs Product and Furniture Design am Chelsea College of Arts, denn wir legen Wert darauf, den Studierenden praktische Erfahrungen zu vermitteln und ein Umfeld zu schaffen, in dem sie Designs für reale Bedürfnisse entwerfen können.“

Kooperationen wie Breaking Barriers sind wichtige Schritte auf dem Weg zu mehr Inklusion in Shared Spaces. „Das Ziel des Projekts, einen inklusiven Arbeitsplatz für neurodivergente Mitarbeiter zu schaffen, stimmt mit unserer Vision für die Zukunft des Designs überein“, sagte Fabiane. „Durch diese Zusammenarbeit wollen wir unseren Studierenden bei der Verbesserung ihrer Berufschancen behilflich sein.“

Unsere Zukunft ist neurodivers. Breaking Barriers hat die Zukunft des integrativen Designs aufgezeigt. Angesichts der Qualität der studentischen Projekte sieht die Zukunft in der Tat sehr vielversprechend aus.

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